Interview mit Filmemacherin Maria Knilli

Sie haben Dokumentarfilm studiert, Spielfilme gedreht, am Theater inszeniert, geben Filmunterricht, haben aber noch nie mit Schulkindern gearbeitet. Das heißt, dieses Projekt muss Sie außergewöhnlich interessiert haben, oder?
Stimmt, es ist ja auch eine Lebensentscheidung zu sagen, ich gehe jetzt noch mal acht Jahre zur Schule! (lacht). Aber im Ernst, die Idee zu dem Film hat etwas damit zu tun, dass vor zwölf Jahren unsere Tochter zur Welt kam und ich mich seither täglich auseinandersetzen muss mit der Frage: Was braucht sie, um zu lernen? Was kann ich ihr geben?

Sie sind uns anderen Eltern gegenüber im Vorteil, dürfen im Klassenzimmer dabei sein …
Ich spürte sofort am ersten Schultag diese Gefühlslage der Kinder, die fast feierlich klar machte, dass es ihnen ernst ist mit dem Lernen. Ein kleiner Mensch, der in die Schule kommt, ist Wissbegierde pur.

In der Waldorfschule sind die Kinder acht Jahre im Klassenverbund mit der Lehrerin zusammen. Das ergibt eine besondere Situation, oder?
Ja, da gehen Lehrerin, Eltern und Kinder einen ungeschriebenen Vertrag ein. Wenn ich weiß, wir werden acht Jahre zusammen sein, dann lasse ich mich ganz anders ein. Am Anfang arbeiten die Kinder noch für die Lehrerin, aber schon bald entwickelt sich eine Art Werkstatt. Da gibt es Spezialisten für dies und das, der eine kann gut rechte Maschen stricken, die andere kniffelige Aufgaben rechnen. Die Rollen wechseln auch mal, und das Grundgefühl ist: wir kennen uns, wir packen es zusammen an.

Bestimmt war es ein großer Kraftakt eine Schule zu finden, die mitmacht …
Das war ein langer Prozess! In Landsberg war das Kollegium zum Glück offen, so dass ich mein Projekt vorstellen durfte. In vielen Konferenzen haben wir dann darüber gesprochen, denn da die Schule selbstverwaltet ist, musste wirklich das gesamte Kollegium einverstanden sein. Als nächstes musste ich dann an vielen Elternabenden Überzeugungsarbeit leisten. Die große Sorge war natürlich: Wird das Drehen den Unterricht stören? Wird die Klasse ihre Identität behalten?

Und?
Mit den Kindern war das bald sehr selbstverständlich. Die fragten mich, ob ich ihren Anorak zumachen kann oder mal den Schuh binden und nahmen die Kamera kaum mehr wahr. Ich bin einfach eine Erwachsene, die sich für sie interessiert. Punkt.

Gar keine Neugierde für die Kamera?
Jeder durfte mal durchs Okular schauen, bevor es losging. Ich habe kurz die Technik erklärt, und was ich machen will, und damit war die Neugier dann offenbar befriedigt. Jetzt dürfen sie nicht mehr durchschauen, das haben wir vereinbart. Die Kinder wissen: Das ist meine Werkstatt.

Sie drehen allein?
Ja, ich mache Kamera und Ton selbst. Das ist wichtig, denn wenn wir als Team anrücken würden, das wäre irritierend. Alleine bin ich mitten drin.

Spannend ist ja auch, dass Sie eine Langzeitbeobachtung drehen.
Es ist, als würde ich die Chronik eines kleinen Dorfes schreiben. Damals bei der Einschulung waren die Kinder zart und kulleräugig, und dann in der achten Klasse, das werden Lackl sein! Schon jetzt in der dritten Klasse wirken sie verwandelt. Sie strahlen aus: Ich kenn mich aus, ich hab zu tun!

Was haben Sie denn in den ersten drei Jahren beobachtet? Was brauchen die Kinder um gut zu lernen?
Sie brauchen Zeit und ein bestimmtes Klima. Wie die Pflanzen. Und ein Gegenüber, das auf sie eingeht. Sie müssen mal schwach und mal stark sein dürfen, und ihre Neugierde muss immer wieder befeuert und ernährt werden. Und – vieles ist eine Frage des richtigen Zeitpunkts beim Lernen. Die Inhalte, die ihnen auf der Nasenspitze stehen, die lernen die Kinder wie von selbst. Das ist ja auch bei uns Erwachsenen so. Wenn etwas kommt, das mich überfordert, oder mir gerade nicht schmeckt, dann hab ich erstmal Widerstände oder Ängste.

Ihr wichtigstes Anliegen nach dem ersten Film?
Wir müssen über das geringe Ansehen der Lehrer bei uns nachdenken. Das ist doch absurd. Der Beruf des Lehrers ist neben dem des Arztes vielleicht der Wichtigste. Wie eine Hebamme kann der Lehrer etwas zutage fördern, aber eben nur, wenn er den richtigen Zeitpunkt weiß. Was für eine Verantwortung das ist!

(Interview: Sandra Vogell, BR Pressestelle)